Artur Mas: “Mehr Europa, mehr Katalonien”. Die Fragen stellte Leo Wieland

MasHerr Ministerpräsident, wie geht es Katalonien, wie geht es Spanien und wie geht es Katalonien in Spanien?

Katalonien hinkt, Spanien auch und Katalonien in Spanien ist in Erwartungshaltung. Aber obwohl die wirtschaftliche Lage sehr schwierig ist, glaube ich, dass sowohl Katalonien als auch Spanien das Blatt wenden können. Dies ist nicht Griechenland. Unsere Lage ist auch besser als die Italiens. Wenn man also die Dinge, die nötig sind, entschlossen anpackt, dann, so bin ich überzeugt, finden wir eine Lösung.

Sie regieren seit einem Jahr mit schmerzhaften Maßnahmen, um Defizit und Schulden unter Kontrolle zu bringen. Was haben Sie gelernt, das die neue Zentralregierung unter Ministerpräsident Rajoy noch lernen muss?

Mein Motto war vom ersten Tag an: Man muss für die nächsten Generationen und nicht die nächsten Wahlen regieren. Vielleicht wird man paradoxerweise auf diese Art trotzdem Wahlen gewinnen. Unsere Erfahrung im Jahr 2011 war da sehr positiv. Trotz aller harten, scheinbar unpopulären Entscheidungen und wider alle Kritik und Demonstrationen, haben wir (die bürgerliche Regierungspartei Convergència i Unió) zuletzt sowohl noch die Kommunalwahlen gewonnen, als auch bei den nationalen Wahlen am besten abgeschnitten. Es gibt demnach eine schweigende Mehrheit, die versteht, was wir tun.

In Spanien herrscht mit 23 Prozent Arbeitslosigkeit und in Katalonien mit 20 Prozent noch immer ein bemerkenswerter sozialer Friede. Woran liegt das?

Die offiziellen Statistiken stimmen hier nicht mit der Wirklichkeit überein. Ein Politiker sollte das nicht sagen, aber die Arbeitslosenzahlen sind aufgeblasen. Aus zwei Gründen: Viele Spanier arbeiten in der Schattenwirtschaft, wahrscheinlich mehr als im übrigen Europa. Und es gibt Kollektive, die mitgezählt werden, obwohl sie gar keine Arbeit mehr suchen, wie zum Beispiel Frührentner. Sie beziehen zwar noch Arbeitslosengeld, halten aber nicht mehr nach einem Job Ausschau. Also kann man ruhig etwa fünf Prozentpunkte abziehen. Trotzdem ist das Problem noch gravierend genug. Aber Spanien hat in den letzten 20 Jahren einen ausreichend soliden Sozialstaat aufgebaut, um die Auswirkungen dieser Krise aufzufangen.

Woher sollen nun das Wachstum und die neuen Arbeitsplätze kommen?

Die künftigen Arbeitsplätze werden weder aus der öffentlichen Verwaltung noch von den multinationalen Konzernen kommen. Sie kommen, wenn sie kommen, vor allem in Katalonien, in kleinen und mittleren Betrieben. Was die Sektoren angeht, so werden sie aus der Exportindustrie, einer gewissen Reindustrialisierung durch die Rückkehr von Betrieben, die gegenwärtig im Ausland produzieren, und aus der Serviceindustrie, vor allem dem Tourismus kommen. Wir hatten hier 2011 ein Rekordjahr.

Ist Katalonien, die reichste der großen Regionen, noch der Dynamo der spanischen Wirtschaft?

Zu einem guten Teil schon. Die katalanische Wirtschaft bringt noch immer ein Fünftel der spanischen auf die Waage. Katalonien und die Region Madrid, mit jeweils rund sieben Millionen Einwohnern, sind die beiden wichtigsten Lokomotiven. Katalonien ist aber industrialisierter und exportorientierter und deckt damit rund 23 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes ab. Im Falle Madrids sind es nur elf Prozent.

An diesem Mittwoch treffen Sie zum ersten Mal in Madrid mit Rajoy zusammen. Was wollen Sie von ihm, was wird er von Ihnen wollen?

Es wird eine erste tastende Begegnung sein. Ich werde ihm sagen, dass meine Regierung bereit ist, große Strukturreformen, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen und eine Politik der Sparsamkeit zu betreiben. Das ist kein Blankoscheck, aber wir wollen hier mit der Zentralregierung kooperieren. Im gleichen Sinn will ich mit ihm über die Stimulierung von Wirtschaftswachstum in Europa sprechen. Manche Partnerländer, Deutschland vorneweg, sind da sehr zurückhaltend. Und dann ist da die katalanische Agenda.

Worum geht es da?

Um die Steuerhoheit. Wir wollen die gleiche Souveränität, wie sie das Baskenland hat. Man kann nicht für die Ausgaben, aber nicht für die Einnahmen verantwortlich sein. Bei letzteren sind die meisten autonomen Regionen komplett von Madrid abhängig. Dort wird über die Steuern entschieden und uns schickt man dann eine Überweisung. Ich will hier volle Entscheidungsfähigkeit.

Ist dies die richtige Zeit für Veränderungen, die die Einheit Spaniens berühren?

Wir haben ein klares Ziel. Wir wollen mehr Europa und mehr Katalonien. Das bedeutet mehr politische Macht in Europa und mehr politische Macht zuhause. Kurzfristig ist das sicherlich nicht möglich. Aber es ist absolut nötig. Wenn wir uns Europa in 20 Jahren vorstellen, so müssen die Regionen und lokalen Bürger mehr Gewicht bekommen. Es hat keinen Sinn, dass die Zentralstaaten immer mehr Einfluss haben. Wir wollen unsere Souveränität nicht mit Madrid teilen. Wir wollen sie für uns haben.

Wie denken die sieben Millionen Einwohner Kataloniens darüber?

Es gibt kein ganz klares Panorama, aber eine interessante Entwicklung. Immer mehr Leute sind für die Souveränität. Das heißt nicht notwendigerweise die Unabhängigkeit. Im interdependenten Europa ist schon niemand mehr unabhängig, siehe Griechenland. In Katalonien sind jedoch immer mehr Leute für einen eigenen Staat. Dieser könnte dann mit Spanien eine Föderation oder Konföderation bilden. Das Gefühl ist, wir brauchen diesen eigenen Staat, um voranzukommen. Es geht nicht darum, mit Spanien zu brechen. Es geht mehr um eine Emanzipation. Kinder, wenn sie erwachsen werden, wollen nicht mit ihren Eltern brechen, aber in ihrem eigenen Haus wohnen. Noch ist das in Katalonien nicht die vorherrschende Strömung, aber doch etwa zu fünfzig Prozent mit zunehmender Tendenz.

Ist Schottland für Sie ein Modell?

Es gibt einige Ähnlichkeiten. Aber das Vereinigte Königreich ist nicht Spanien und Katalonien nicht Schottland. Katalonien hat weit mehr Gewicht in Spanien als Schottland in Großbritannien. Katalonien hat eine sehr gemischte Bevölkerung, Schottland weniger. Aber Großbritannien hat eine viel solidere und liebenswürdigere Demokratie als Spanien.

Warum hat Katalonien den Stierkampf verboten, erlaubt aber weiter die Stierhatz („correbous“) bei Volksfesten?

Wir haben die Corrida nicht aus Identitätsgründen verboten, sondern aus Respekt vor den Tieren. Der Stierkampf wurde in Katalonien ohnehin immer schwächer und war schließlich vor allem nur noch auf den Tourismus ausgerichtet. Bei den „correbous“ im Ebrodelta wird außerdem der Stier nicht getötet. Das ist schon ein großer Unterschied.

Per accedir a la traducció catalana de l’entrevista de Leo Wieland, corresponsal del Frankfurter Allgemeine Zeitung, al president Artur Mas, cliqueu aquí.